Elke Silvia Krystufek
HARMONIE 19
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Mar 19th 2014 – Apr 19th 2014



Ausstellungstext

Seit ihrer ersten großen Einzelausstellung in der Wiener Secession 1997 arbeitet Elke Silvia Krystufek zum Thema Archiv. Ihr dort ausgestellter Bilderatlas von postkartengroßen Fotographien mit dem Titel I am your mirror nahm Anleihen bei Nan Goldin und Gerhard Richter. Die Ausstellung Harmonie 19 in der Galerie Meyer Kainer setzt diese rückblickende Auseinandersetzung mit dem Fundus älterer Werke fort und widmet sich, wie schon die von Krystufek im Autocenter in Berlin kuratierte Schau Heb, dem Phänomen des Schleiers in seinen vielfältigen Erscheinungen und Bedeutungen in ihrem Werk. Im Autocenter zeigte sie die eigenen Bilder hinter schwarzem Stoff als verhängte Bilder, verschleiert sozusagen, wie ein Scherz im Museum, nur die Augen frei, der “Briefkastenlook” verschleierter Frauen mit Hijab und Niqab. Dazu die Bildtexte über die Wände verstreut, in selektiver Auswahl, um den Islam nicht nervös zu machen, auf Arabisch übersetzt (Krystufek). Die doppelte Fragestellung nach den realen wie fiktiven Funktionen des Schleiers in ihren Arbeiten verlangt nach der Erforschung seiner verschiedenen Kontexte: als Realie in Kult und Ritual, in Magie und Zauber, in Mode und Körperinszenierung, in Erotik und Fetischismus, sowie als Text- und Bildmetapher ersten Ranges. Als solche verknüpft der Schleier Bedeutungen von Kunst- und Weltschleier, von “Text” und “Textilie”, Beziehungen, in denen er als Metapher und Chiffre der Darstellung des Undarstellbaren fungieren kann. 

Ausgangspunkt der Ausstellung Harmonie 19 sind zwei formlose – verschleierte – Arbeiten von Cindy Sherman, aus der Serie Disasters, die Elke Silvia Krystufek in neuen, kleinen Gemälden appropriiert, sowie drei Zeichnungen, die frühe Verschleierungen Sherman’s zitieren. Krystufeks Arbeiten werden manchmal fälschlich als Weiterentwicklung des Wiener Aktionismus interpretiert. Sie selbst nennt statt dessen Cindy Sherman als eines ihrer wichtigsten Vorbilder, die sich mit verbreiteten Entwürfen von Weiblichkeit und dem voyeuristischen Aspekt des Betrachtens auseinandersetzt und gleichzeitig ihren Körper zum Material ihrer Kunst macht. Philippe van Cauteren bemerkt: Der Blick von Krystufek ist der Blick des Anderen, auf den Anderen und über den Anderen.¹ Die Betrachter fühlen sich bei ihren Betrachtungen (der betrachtete Betrachter) beobachtet. Die Wahrnehmung der Bilder wird damit im besten Fall zu einer Art Selbstreflexion, einem Gewahrwerden des eigenen Blickregimes, seiner Konstruktionsleistung und seiner Konstituierung.

Es ist ein beachtliches Phänomen der Bilder Elke Silvia Krystufeks (oft Selbstporträts), dass sie trotz mimetischer Darstellung, intimer Direktheit und bisweilen exhibitionistischer Präsenz des Abgebildeten, leer und abwesend erscheinen. Dieser Nichtfasslichkeit des äußeren Abbildes begegnet Krystufek in vielen Arbeiten, indem sie ihr „inneres Abbild“ in Form handschriftlicher Texte fasst, die wie Gedanken aus ihnen heraus zu drängen oder die Darstellung gar einzuengen scheinen. Nie ist eindeutig festzustellen, ob sie sich in ihren Selbstdarstellungen von ihrer privaten Seite zeigt, oder ob es sich um Inszenierungen handelt: immer wieder präsentiert sie sich als Kunstfigur – häufig als Star, verkleidet in selbst entworfenen Kostümen und schrillen Perücken, oft auch verschleiert.

Mit der Idee des Verschwindens – einer sehr speziellen Form der Verschleierung – arbeitet die Künstlerin explizit seit ihrer Ausstellung Liquid Logic im MAK 2006, bei der sie sich mit dem 1975 anlässlich einer Seereise zu den Moai Figuren auf den Osterinseln verschollenen, niederländischen Künstler Bas Jan Ader auseinandersetzt, dessen Reise sie quasi selbst zu Ende führt. Statt in isolierter Einsamkeit lebt sie sozusagen das Komplizentum mit der widerständigen Lebenswirklichkeit. Sie verschwindet zwar aus der durch männliche Blickregime konstruierten weiblichen Rolle, erprobt aber die Auseinandersetzung mit den Gegebenheiten. Damit überschreitet sie für sich selbst – anders als in ihrer Sicht auf Bas Jan Ader – das Außen und Innen dichotomer Systeme und beruft sich auf einen Zwischenraum, in dem Weiblichkeit keiner Definitionsmacht mehr unterliegt – weder einer männlichen noch einer weiblichen. Dieses Weibliche erscheint nicht fest, sondern flüssig (“liquid”)…Eine Art Des-Integration bzw. Ortlosigkeit der Frau, die die gedachte Einheitlichkeit der Identität aufbricht, sieht sie als Bedingung der Möglichkeit einer Utopie.²

 

¹ Philippe van Cauteren, Brief an Elke Krystufek, in: Elke Krystufek – Liquid Logic, Katalog MAK Wien, 2006, S. 152.
² Maike Aden-Schraenen, In Search of Bas Jan Ader, 2013, S. 255.