Amelie von Wulffen
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Feb 27th 2013 – Mar 30th 2013



Ausstellungstext

Ein Löwe und ein Tiger verbeißen sich in einer tödlichen Umarmung ineinander. Es ist eine spektakuläre paragonale Szene nach einer Zeichnung von Delacroix, die Amelie von Wulffen in einen abstrakten Farbraum setzt, den man ähnlich auch auf einem schönen Seidentuch finden könnte. In den Bildern der Berliner Künstlerin treffen disparate Sprachformen der Malerei, z. B. Figuration und Abstraktion, gleichzeitig und mit ungeheurer Dichte aufeinander, wobei die Repräsentation immer wieder abbricht und in einen abstrakten, psychisch aufgeladenen Raum übergeht.

Amelie von Wulffen ist für ihre collagierten Bilder bekannt, die Fotografie über den Ausschnitt hinaus malerisch erweitern und die Malerei über den Rahmen, über die Grenzen der Darstellung hinaus in den realen Raum auf Wänden oder auf Möbeln weiter führen. In ihren neueren Arbeiten, von denen einige schon im Aspen Art Museum zu sehen waren, gibt es keine fotografischen Selbstporträts oder Erinnerungsstücke aus ihrer familiären Umgebung, kein direktes Pendant mehr in der Realität.

Vielmehr zeigt Amelie von Wulffen Malerei als höchst artifizielles Konstrukt, pflügt Schichten älterer ölmalerei der Vor- und Frühmoderne um, zerstückelt sie und zoomt einzelne Sujets heraus. In der Ausstellung sind Anleihen bei Stillleben von Goya, Courbet und bei niederländischen Stillleben zu sehen, sowie Landschaften und Selbstporträts nach Marées, Caillebotte, van Gogh und wieder Goya, die wie eigene Kapitel vorgestellt werden, in denen man sich aufhalten kann. Aber neben diesen bekannten Motiven der Kunstgeschichte greift die Künstlerin auch visuelle Elemente anderer kreativer Gestaltungen auf: Lüftelmalerei, dekorative Ausmalungen in Restaurants oder Basteltechniken wie Tauchlack und Batik.

Die Stillleben von toten Tieren, toten Blumen und Früchten, isolierten, zerschnittenen Objekten, die als Waren ausgelegt werden, interessieren Amelie von Wulffen als historischer Moment einer Malerei, die sich ihrer selbst bewusst wird und die perfekte Illusion als solche vorführt. In ihrer Ausstellung dreht eine überdimensional mutierte Schmeißfliege, die von den makabren Tieren aufgestiegen sein mag, als Trompe-l’œil im Treppenaufgang ihre Kreise und malt so mit ihren Science-Fiction-haften Insektenbeinen abstrakte Schlieren auf die Leinwand.

Bei den Selbstporträts ist die Aneignung im aktiven Nachvollzug der Malbewegung der anwesend Abwesenden, die sich im Spiegel gesehen haben und die Betrachter/innen aus einer anderen Zeit heraus anschauen, noch direkter und näher. Das Selbstporträt ist der Moment der maximalen Selbstbezüglichkeit, in den sich Amelie von Wulffen nachfolgend hineinschreibt, um so etwas wie einen gemalten Starschnitt der von ihr verehrten Künstler herzustellen.

Der Blick aus dem Bild heraus geht mit anderen Techniken, den malerischen Raum zu öffnen, einher. Die raumillusionierenden Nischen, Fenster und Türen in der Stilllebenmalerei verbinden das greifbar nahe mit dem Fernen. Amelie von Wulffen vollzieht die öffnung auf ein Außen in der abstrakten Lüftelmalerei auf den Wänden der Galerieräume, aber vor allem entlang der Bruchlinien in ihren Bildern, in der traumähnlichen, konfrontativen Kopplung sehr verschiedener Bildfragmente, die analytisch nachvollziehend, aber manchmal auch in der Farbe schwelgend ausgeführt sind. In der Fokussierung auf die Möglichkeiten und Bedingungen des Mediums, zeigt sie Malerei als eigenen, extrem künstlichen Raum, der dennoch permanent mit anderen Erfahrungshorizonten abgeglichen wird.

 Verlässt man die Ausstellung mit dem Gefühl, man habe soeben ein Buch beendet oder käme aus dem Kino nach draußen, wo es vielleicht noch hell ist, und schaut man sich dann noch einmal um, begegnet einem erneut Goyas Blick mit Amelie von Wulffens Augen, und den nimmt man mit in die Wirklichkeit.

Text: Anette Freudenberger