Liam Gillick
Light Technique
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Jun 21st 2002 – Jul 27th 2002



Ausstellungstext

Liam Gillicks Karriere als bildender Künstler verlief ungewöhnlich:
1993 stellte er gemeinsam mit Henri Bond im Wiener Heiligenkreuzerhof Fotoarbeiten aus. Sein Konzept bestand darin, sich in der Rolle des „Journalisten“  illegal Zutritt zu wichtigen politischen Kongressen zu verschaffen und dies fotografisch festzuhalten. Später substituiert er den realen Aktionsraum durch den hypothetischen  Phantasieraum seiner Romane. Darin beschreibt er mit hoher literarischer Brillanz ein Universum von parallelen Konstruktionen, parallelen Individuen, parallelen Exkursionen und Aktivitäten parallel zum Kunstmachen.

Mit diesen wenig objekt-fokussierten Aktivitäten wurde er zu einer Ausnahmeerscheinung innerhalb der britischen Kunst, der seine Karriere vorerst in  Kontinentaleuropa, insbesondere in Frankreich (Consortium von Dijon) und Deutschland (Dokumenta X) begann und erst neuerdings mit Arbeiten in der Tate Gallery und zuletzt in einer großen Personale in der Whitechapel Gallery in GB gewürdigt wurde.

Für 2003 ist er nunmehr für den bedeutenden Turner-Preis nominiert und wird somit zu den bedeutendsten Künstlern der britischen Gegenwartskunst gezählt.

Anders als so viele illustrativ arbeitenden Künstler der Gegenwart, die vorwiegend an der Konstruktion eines Historienbildes des 20./21. Jahrhundert interessiert zu sein scheinen, ist Gillick einem gleichermaßen poetischen wie intellektuell-konzeptuellen Kunstbegriff verbunden. Sein Ziel ist nicht Naturnachahmung oder Dokumentation sondern die Errichtung einer Reflexionsdistanz: In der Gillick´schen Parallelität steckt eine eigentümliche Zirkularität, eine fortgesetzte Überlagerung und Rückkoppelung zwischen Bereichen, die gewöhnlich als getrennt betrachtet werden.

Georg Stemmrich: “Gillicks Aktivitäten als „Journalist“, als „Architekt“ als „Designer“, etc.  parallel zur Kunst, seine „What If ?“ – Szenarien und die Zeit- und Raumsprünge in seinen Texten (seinem Roman Erasmus is Late, dem darauf basierenden Musical Ibuka! sowie dem Roman Big Converence Centre) sind unterschiedliche Formen diese Zirkularität in Gang zu setzten. In Erasmus is Late und Ibuka ! (1995) führt Gillick verschiedene Personen, die teils dem zwanzigsten, teils dem ausgehenden achtzehnten Jahrhundert entstammen, zu einem Freidenker-Dinner im Haus Erasmus Darwins, dem älteren Bruder von Charles Darwin, in London zusammen. Das Dinner findet in einem Zeitkorridor zwischen 1810 und 1997 statt – zwischen dem historischen Zeitpunkt, unmittelbar bevor „der Mob zur Arbeiterschaft“ umdefiniert wurde, und dem historischen Zeitpunkt, der dem 1995 geschriebenen Stück unmittelbar bevorsteht.“

Gillick analysiert Systeme nicht aus dem Blickwinkel eines extern definierten, ideologisch korrekt agierenden Referenten, sondern er wählt ein Konzept, das die historischen Grundvoraussetzungen der gegenwärtigen Situation behandelt und zugleich die Behandlung eines dieser Situation inhärenten Potentials. Seine fiktiven Geschichten evoziert eine letzte Gelegenheit „eine bestimmte Form prä-marxistischer republikanischer Revolution in Gang zu bringen“, eine Revolution von Freidenkern, die auf der Bildung indirekter Gewalt basiert hätte und deren Ursprung die Debatte als freier Meinungsaustausch gewesen wäre. Gillick: „ Die Gäste haben das Potential nicht zu nutzen gewusst.“

Die Schauplätze seiner „What If?“- Szenarien untersucht Gillick nicht nur in seinen Romanen, sondern er entwickelt auch ästhetische Strukturen (Skulpturen) und Interventionen, die sich thematisch auf die mentalen Prozesse beziehen, die sie einerseits virtuell ermöglichen und die andererseits in den Romanen in einem narrativen Kontext behandelt werden. Der Rezipient sieht sich gehalten, eine ideosynkratische Beziehung zu den Strukturen (Skulpturen) und Interventionen, die „minimalistisch“ oder vielmehr „modernistisch“ wirken, aufzubauen, um deren Potential zu erfahren.