The Unknown Masterpiece
Kerstin Brätsch / Michaela Eichwald / Debo Eilers / gelatin / Julia Haller / Rachel Harrison / Michael Krebber / Albert Oehlen / Sigmar Polke / Christian Rosa / Gedi Sibony / Josh Smith / Amelie von Wulffen, Franz West, Heimo Zobernig
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Jun 16th 2015 – Jul 25th 2015



Exhibition Text

At the end of the eighties, a group of artist-friends began questioning the localization of art. Did the basis of art lie in the personality of the artist, or in the bohemian society around them, in the theoretical concept, or even in the artistic object itself? To friends Günther Förg, Martin Kippenberger, Albert Oehlen, and Heimo Zobernig it became clear that in the future, concept and context would acquire a previously unknown significance. “In the future we will no longer make, only think” (Kippenberger).

Yet these artists continued to place a certain faithfulness at the forefront of their practice, and so remained bound to the classical medium of painting. A decisive aspect of their discourse was the 1831 novel The Unknown Masterpiece by Honoré de Balzac.

In this well-known novel, an academic artist, a young genius, and a skeptical old master of painting search for the truth of art. It is about the great painters’ struggle for their own expression, as the young Nicolas Poussin, through the salon painter Porbus, meets the cranky old master Frenhofer, who has brooded for ages in his hermitage over a portrait of the legendary courtesan Catherine Lescaut. Poussin “lends” Frenhofer his beloved Gillette in order that Frenhofer might finish the painting. But when the master finally presents his legendary work, Poussin and Porbus see “nothing but colors concentrated in wild confusion and held together by an abundance of bizarre lines.” A mess. Only in one corner of the painting do they discover the tip of a bare foot, white and pure, “like the torso of some Venus” – a lonely fragment, the physical remains of an artistic odyssey. As in all parts of Balzac’s Human Comedy, the characters in The Unknown Masterpiece are less individuals than types representing a social role or an art-theoretical position.

As Georges Didi-Huberman shows in The Embodied Painting, 2002, the story remains of continuing importance for the profession of the painting. Not only because Frenhofer, the painter invented by Balzac, practically characterizes the entire history of modernity, but because The Unknown Masterpiece persistently points out the fact that the ultimate reason for painting lies beyond the practice of painting itself. In this sense, the further course of the story represents a continual postponement of this ultimate reason, in so far as to how it should be realized. The protagonists seek the perfection of painting as an act of deciding. This process of bringing about an artistic decision amounts in essence to the constitution of the painter as subject. As long as the subject remains divided (Frenhofer’s critical-theoretical skepticism), the act of bringing about the heroic pictorial decision – the decisive brush stroke – will elude him.

But the story also addresses the relativization of representation, the mimetic. Above all, however, it speaks to the imperative of the in-between, the suspension of the figurative problem of the enveloping surface – the incarnate. The meshwork of physical surface and depth, the dialectic between appearance and disappearance, front and back, which are justified in the active, oscillating coloration itself. The painting would therefore already exist in the interplay of surface and depth alone. It is a hyperphysics of layers and vibrations. The physical appearance, but also the thoughts, act through this. The painting (canvas, fabric), therefore, no more represents a surface than do the color, the skin, or the “foliate” principle of the visible, which Balzac suggests here. Painting either mocks us, in light of a surface that is not a surface, or we kill it. Some of this is reflected in Frenhofer’s dilemma itself: between ontological mockery and self-sacrifice.

Participating artists:
Kerstin Brätsch, Michaela Eichwald, Debo Eilers, Gelatin, Julia Haller, Rachel Harrison, Michael Krebber, Albert Oehlen, Sigmar Polke, Christian Rosa, Gedi Sibony, Josh Smith, Amelie von Wulffen, Franz West, Heimo Zobernig

Ausstellungstext

Ende der Achzigerjahre stellte sich eine Gruppe befreundeter Künstler die Frage nach der Verortung von Kunst. War die Kunst in der Persönlichkeit des Künstlers oder in der ihn umgebenden Boheme, dem theoretischen Konzept oder gar dem Kunstobjekt selbst begründet? Für die Freunde Günther Förg, Martin Kippenberger, Albert Oehlen und Heimo Zobernig war klar, dass in Zukunft Konzept und Kontext eine bis dahin unbekannte Bedeutung haben würden. „Es wird in Zukunft nicht mehr gemacht, sondern nur mehr gedacht.“ (Kippenberger).

Aber für diese Künstler stand Werktreue auch weiterhin im Vordergrund ihrer Praxis und so blieben sie auch dem klassischen Medium der Malerei verbunden. Ein entscheidender Ansatzpunkt ihres Diskurses war die Auseinandersetzung mit der Novelle „Das unbekannte Meisterwerk“ von Honoré de Balzac von 1831.

Wie bekannt, suchen darin ein akademischer Künstler, ein junges Genie und ein skeptisch-kritischer Altmeister der Malerei nach der Wahrheit der Kunst. Es geht um das Ringen großer Maler um ihren eigenen Ausdruck, wenn der junge Nicolas Poussin durch den Salonmaler Porbus den verschrobenen Altmeister Frenhofer kennen lernt, der seit Ewigkeiten in seiner Klause über einem Portrait der legendären Kurtisane Catherine Lescaut brütet. Poussin „leiht“ Frenhofer seine Geliebte Gillette, damit dieser das Gemälde vollenden kann. Aber als der Meister sein sagenhaftes Werk endlich präsentiert, sehen Poussin und Porbus darauf „nichts als Farben, die in wirrem Durcheinander massiert sind und von einer Fülle bizarrer Linien zusammengehalten werden“: ein Chaos. Nur in einer Ecke entdecken sie die Spitze eines nackten Fußes, weiß und rein, „wie der Torso irgendeiner Venus“ – das einsame Fragment, der leibhaftige Rest einer künstlerischen Odyssee. Wie in allen Teilen von Balzacs Menschlicher Komödie sind die Figuren auch im Unbekannten Meisterwerk weniger Individuen als Typen, die eine soziale Rolle oder kunsttheoretische Position abbilden.

Die Geschichte ist für die Profession der Malerei von nachhaltiger Bedeutung, wie Georges Didi-Huberman in „Die leibhaftige Malerei“ 2002 nachweist. Nicht nur, weil Frenhofer, der von Balzac erfundene Maler, geradezu die gesamte Geschichte der Moderne vorherzeichnet, sondern, weil „Das unbekannte Meisterwerk“ hartnäckig auf die Tatsache hinweist, dass der letzte Grund der Malerei jenseits der Ausübung des Malens liegt. In diesem Sinne ist der Fortgang der Novelle der eines fortwährenden Hinausschiebens des letzten Grundes, und zwar in dem Maße, wie er verwirklicht werden sollte: Die Protagonisten suchen die vollendete Malerei als einen Akt der Entscheidung. Diese Operation des Herbeiführens einer künstlerischen Entscheidung läuft de facto auf die Konstitution des Maler-Subjektes hinaus. Solange das Subjekt geteilt bleibt (die kritisch-theoretische Zweifelsucht Frenhofers), entgleitet ihm der Akt des Herbeiführens der heroischen malerischen Entscheidung – der entscheidende Pinselstrich.

Die Geschichte erzählt aber auch von der Relativierung der Repräsentation, des Mimetischen. Insbesondere aber vom Imperativ des Dazwischen, der Aufhebung des figuralen Problems der umhüllenden Oberfläche – dem Inkarnat: Dem Geflecht aus körperlicher Oberfläche und Tiefe, der Dialektik zwischen Erscheinung und Schwinden, Vorne und Hinten, die im aktiven, oszillierenden Kolorit selbst begründet wird. Das Gemälde wäre also schon das Ineinander von Oberfläche und Tiefe. Es ist eine Hyperphysik der Schichtungen und der Schwingungen. Das körperliche Erscheinen, aber auch die Gedanken wirken hierdurch. Das Gemälde (Leinwand, Gewebe) stellt daher ebenso wenig eine Oberfläche dar, wie es die Farbe, die Haut oder jenes „blättrige“ Prinzip des Sichtbaren tut, das Balzac hier nahelegt. Entweder lacht die Malerei, angesichts einer Oberfläche, die keine Oberfläche ist, uns aus oder wir bringen sie um; ein wenig davon findet sich im Dilemma Frenhofers selbst: zwischen ontologischem Gespött und Selbstaufgabe.

KünstlerInnen:
Kerstin Brätsch, Michaela Eichwald, Debo Eilers, gelatin, Julia Haller, Rachel Harrison, Michael Krebber, Albert Oehlen, Sigmar Polke, Christian Rosa, Gedi Sibony, Josh Smith, Amelie von Wulffen, Franz West, Heimo Zobernig